Plastikgeschirr birgt gesundheitliche Gefahren.

Kunststoff beim Essen

Verzichten Sie auf Plastik im Essen & bei Getränken!

"Meine wichtigste Empfehlung an alle Verbraucher: Frisch kochen und so wenig Fertig­produkte wie möglich benutzen."

Interview mit Dr. Marike Kolossa, Toxiko­login und Leiterin des Fach­gebiets Toxiko­logie, gesund­heits­bezogene Umwelt­beob­achtung am Umwelt­bundes­amt Berlin. Sie befasst sich inten­siv mit der Schad­stoff­belas­tung des Menschen.

Lesen Sie das Interview am besten gleich und erfah­ren Sie mehr über die Konse­quenzen von Plastik im Essen.

Interview mit Dr. Marike Kolossa

Gothaer: Frau Dr. Kolossa, mittler­weile gibt es fast nichts, was nicht verpackt wäre. Gibt es gute und schlechte Ver­packung?

Dr. Marike Kolossa: Heute dürften Ma­teria­lien, die in Kon­takt mit fett­hal­tigen Lebens­mitteln stehen, nur noch mini­malste Mengen an Phtha­laten ent­halten. Wenn alles mit rechten Din­gen zugeht, müsste man davon aus­gehen, dass der Käse an der Theke mit einer phthalat­freien Folie ver­packt wird.

Gothaer: Kann man aber nicht?

Dr. Kolossa: Es gibt einen gewissen Wider­spruch: Wir haben gesetz­liche Regelungen, die Phthalate in Folien zur Ver­packung von Lebens­mitteln verbie­ten, ebenso wie auch in Spiel­zeug und Kosme­tika. Wir sehen aber nicht, dass die Belas­tung der Bevölke­rung so stark gesunken ist, wie wir es erwarten würden. Es ist also gut mög­lich, dass wir wichtige Quellen noch nicht erschlos­sen haben oder dass immer noch zu viele Produkte im Umlauf sind, die die EU-Anforde­rungen nicht erfüllen. Wir erleben das immer wieder beim Spiel­zeug, wo Import­pro­dukte zum Beispiel aus China gefun­den werden, die Phthalate in Mengen weit jen­seits des Akzep­tablen enthalten.

Gothaer: Eigentlich muss die Folie, die mir der Wurst­ver­käufer um meinen Schinken wickelt, phthalat­frei sein?

Dr. Kolossa: Sie dürfte allen­falls 0,1 Prozent enthalten. Das ist ein geringer Phthalat­gehalt. Typische Phthalat­ge­halte in Weich­plastik sind viel höher: In den Spiel­zeugen waren oft 30, 40 Prozent enthalten, die berüchtigten Quietsche-Entchen, die bestanden fast zur Hälfte aus Phthalaten. Und die können dann eben austreten und zur Belastung des Menschen beitragen. Nach EU-Regu­lierungen müssten die Informa­tionen in der ganzen Kette - vom Rohstoff­lieferanten, Hersteller, Im­por­teur - weiterge­geben werden, wenn ein proble­matischer Stoff irgend­wo auf­taucht. Das funktioniert aber leider in der Praxis auch nicht immer.

Gothaer: Sind denn nur die Folien proble­matisch?

Dr. Kolossa: Forscher haben jetzt heraus­gefunden, dass Dibutylphthalate zum Beispiel in Cerealien übergehen, wenn sie länger in Papp­kartons aus Recycling­papier gelagert werden. Also könnten auch Lebens­mittel mit gerin­gem Fett­gehalt wie Reis oder Müsli belastet sein.

Gothaer: Was raten Sie den Ver­brau­chern zur Vermei­dung von Plastik im Essen?

Dr. Kolossa: In einem unserer Versuche war das am höchsten belastete Lebens­mittel eine vege­tarische Lasagne. Das Problem bei den Fertig­produkten ist: Sie wissen nicht, was drin ist und wie es aufbereitet wurde. Phthalate werden in erster Linie über die Nahrung aufge­nommen. Daher meine wichtigste Emp­fehlung an alle Verbraucher: Frisch kochen und so wenig Fertig­produkte wie möglich benutzen.

Gothaer: Gibt es rühmliche Aus­nah­men, zum Beispiel die Bio-Branche?

Dr. Kolossa: Wir haben auch bei Biopro­dukten Phthalate gefunden, und das Problem der nicht EU-Recht konformen Inhalts­stoffe zum Beispiel in Ver­packungen gibt’s da auch.

Gothaer: Gibt es über­haupt gute Kunst­stoffe bzw. ist Plastik im Essen immer proble­matisch?

Dr. Kolossa: Polypropylen (PP) oder Polyethylen (PE) sind nach unserem heutigen Kenntnis­stand nicht pro­ble­ma­tisch. Aber die Angabe zum Kunst­stoff finden Sie nur, wenn Sie sich mit den Recycling­codes auskennen und die Nummern, in diesem Fall 05 und 04, zuordnen können. Mein Tipp: Verzichten Sie beim Essen und Trinken so weit wie möglich auf Kunststoff, besonders wenn die Oberflächen von Küchen­geschirr und Wasser­flaschen abge­nutzt oder gar beschädigt sind: Dann werden nämlich verstärkt problema­tische Plastik­be­stand­teile frei­gesetzt.

Gothaer: Kann ich denn sehen, ob der Kunst­stoff in Ordnung ist?

Dr. Kolossa: Nein, wenn Sie einen flexiblen Kunststoff haben, ist lediglich klar, dass ein Weichmacher drin sein muss. Es ist nur die Frage, was für einer. Da kommen 15 bis 20 verschiedene infrage.

Gothaer: Wem schaden diese Chemi­kalien gesund­heitlich besonders?

Dr. Kolossa: Bei schwangeren Frauen oder kleinen Kindern, besonders kleinen Jungs, sind die größten Wir­kungen zu erwarten. Weich­macher wirken am intensivsten auf den Embryo im Mutterleib. Die Entwicklung und Reifung der Organe ist aber auch in der Phase bis zur Pubertät störanfälliger als beim Erwachsenen. Aus Tierversuchen wissen wir, dass eine Phthalat-Belas­tung in der Schwanger­schaft zu einer Hemmung des männlichen Hor­mons Testos­teron um bis zu 80 Prozent führen kann. Wir können im Moment nur aus Tierver­suchen ableiten, wie wir die gesund­heitlichen Risiken für den Menschen einschätzen. Anderer­seits wissen wir aus einer Reihe von Studien, dass Deutsch­land zu den Ländern ge­hört, in denen sich die Sperma­qua­lität bei jungen Männern seit Jahr­zehnten deutlich verschlechtert hat. Und genau diese Wirkung, die Ver­schlech­terung der Sperma­qualität, wird im Tier­versuch durch Stoffe wie die Phthalate ausgelöst.

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